Dienstag, 23. Januar 2018

post septem annos - 7 Jahre später

Am 17.03.2010, also vor fast sieben Jahren, habe ich zum letzten mal einen Text veröffentlicht. Nicht nur hier, sondern - wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht - generell. Es ist so lange her, dass ich fast sagen möchte, dass ich es vergessen habe. Es lag nicht am Mangel an Ideen, oder Zeit; Ich bin dem Schreiben auch nicht "entwachsen" - Ich hatte einfach nicht das Verlangen danach.

Und doch sitze ich jetzt wieder hier und schreibe.

In der Nacht zu gestern ist meine Großmutter gestorben. Sie war Mitte siebzig, hatte vor etlichen Jahren aufgehört zu rauchen, trank fast keinen Alkohol, war viel unterwegs, ging regelmäßig zum Sport und besserte mit Näharbeiten ihre Rente auf. Sie war fit, gesund und unternehmungslustig. Und doch schlief Sie am Sonntag ein und wachte am Montag nicht mehr auf. Einfach so.

Ich würde mich wohl selbst belügen, wenn ich sage dass das nicht der Grund ist, warum ich jetzt hier sitze. Aber es ist nicht ihr Tod an sich, der mich jetzt nachdenklich werden lässt, vielmehr sind es die Umstände. Man hört täglich von Todesfällen, die sich wie aus dem Nichts ereignen, aber die schonungslose Härte und Endgültigkeit, mit der man konfrontiert wird wenn es das eignene Umfeld trifft, raubt einem dennoch die Fassung.

Aber darum soll es hier nicht gehen. Mit diesem Text will ich nicht ihren Tod verarbeiten - zumindest glaube ich das.

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Wer das hier liest, hat den Link zu diesem Text mit großer Wahrscheinlichkeit (direkt, oder indirekt) von mir bekommen. Ein Lebenszeichen an jene, von denen ich glaube, dass es sie interessieren könnte. Im Moment habe ich Zeit (mehr dazu weiter unten) und die möchte ich irgendwie nutzen. Ich hasse das Gefühl, unproduktiv gewesen zu sein, obwohl die Umstände Produktivität zugelassen hätten. Ob das "Produkt" dabei irgendeinen Mehrwert hat spielt für mich dabei (zum Glück) keine Rolle.

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Es ist nun also 7 Jahre her.

Ich bin jetzt 31 Jahre alt und damit ist die Zeit, die man "Jugend" nennt, ohne Zweifel endgültig vorbei. In bestimmten Situationen ist es heutzutage zwar gesellschaftlich akzeptiert, wenn sich erwachsene Menschen wie Jugendliche verhalten, aber das ändert nichts an den Erwartungen die an einen gestellt werden wenn man endgültig kein Jugendlicher mehr ist.

Wo also stehe ich jetzt? Was habe ich "erreicht"? Die Antwort darauf hängt (denke ich) von der Perspektive des Betrachters ab.

Man könnte sagen, dass ich sprichwörtlich mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehe, weil ich mein Leben durch Arbeit immer gut finanzieren konnte, nie in Abhängigkeit geraten bin und keine Schulden gemacht habe.

Man könnte mein Leben aber auch "unstet" und "unsicher" nennen, weil ich seit Ende November ohne Arbeit bin und in anderthalb Wochen meinen mittlerweile siebten Job in sieben Jahren beginne.

Ich könnte mich mühen und zu jedem einzelnen Jobwechsel Gründe liefern; Könnte untermauern, warum es nie meine Schuld war, aber das werde ich nicht tun. Ich hinterfrage das mittlerweile selbst nicht mehr. Ich arrangiere mich einfach damit. Also weiter im Text...

Man könnte sagen, dass ich ein gutes Leben führe und es bestimmt genug Leute gibt, die gern mit mir tauschen würden. Natürlich, warum auch nicht? Ich lebe mit meiner Freundin (mit der ich im nächsten Monat seit 10 Jahren zusammen bin) und meinem Hund in einem kleinen Haus mit großem Garten. So in etwa hatte ich mir das auch gewünscht.

Man könnte aber auch sagen, dass das nichts Halbes und nichts Ganzes ist, weil ich mehr durch Glück und glückliche Umstände zu all dem gekommen bin und nicht durch Leistung, oder Arbeit. Auch dass ich nach 10 Jahren Beziehung weder verheiratet bin, noch Kinder habe erscheint vielen als Makel auf der schönen Fassade.

Keine Ahnung, wie ich das alles selbst einschätzen soll. Ich habe nicht das Gefühl, weiter zu sein, oder weniger weit, als noch vor sieben Jahren. Ich bin einfach anders...

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"Sieben Jahre", das klingt eigentlich nicht nach viel. Betrachtet man es aber aus einem anderen Blickwinkel, ist es fast ein Viertel meines bisherigen Lebens. Es ist gar die Hälfte des Lebensabschnitts, den ich als (weitgehend) "selbstbestimmt" bezeichnen würde. Und nichtzuletzt beinhalten diese sieben Jahre nahezu mein komplettes Erwachsenwerden. Nicht das körperliche, oder psychische. Vielmehr das gesellschaftliche und soziale.

Betrachtet man es so, ist es eine verdammt lange Zeit. Aber was hat sie gebracht?

Nun, wenn ich versuche das Jetzt mit meinem Leben in 2010 zu vergleichen, stelle ich unweigerlich fest, dass alles anders geworden ist. Es gibt keine wirklichen Gemeinsamkeiten mehr. Die Umstände, meine Sicht auf die Dinge und ich selbst, als Mensch. Alles ist anders. In dieser Phase des Lebens ist das aber vermutlich völlig normal.

Dass sich die Dinge ändern, kann und sollte man erwarten. Wirklich interessant ist nur das "wie".

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Menschen kommen und gehen - das weiß (und damit rechnet) jeder. Aber kann man vorhersagen, wer & wann & wie?

Vor sieben Jahren hatte ich zumindest eine grobe Vorstellung davon, wer mir erhalten bleiben würde und wessen Weg sich über kurz oder lang von meinem trennt. Meistens lag ich damit aber falsch. Einige Menschen, von denen ich dachte, dass uns "so schnell nichts trennt", habe ich schon seit Jahren weder gesehen, noch gesprochen. Bei anderen war es genau umgekehrt. Aus heutiger Sicht wundert mich diese hohe "Fehlerquote" nicht mehr. Es geht ja nicht nur darum, wie sich mein eigenes Leben entwickelt, sonder auch um das Leben der Menschen, die mir damals nahe standen. Zu glauben, dass man für beides Vorhersagen treffen könnte, ist natürlich albern.

Vor sieben Jahren waren auch noch alle meine Großeltern am Leben. Natürlich wusste ich schon damals, dass ich mich damit sehr glücklich schätzen konnte und dass das alles andere als selbstverständlich ist. Von den Großeltern meiner Freundin lebte zu diesem Zeitpunkt dagegen bereits keiner mehr. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf habe ich mir auch damals schon darüber Gedanken gemacht, wie lange ich dieses Glück wohl noch habe und von wem ich mich (angesichts von Alter und Gesundheitszustand) vermutlich als erstes verabschieden muss. Je schlimmer und unausweichlicher das Ereignis ist, desto mehr möchte man darauf vorbereitet sein.

Heute sitze ich hier und versuche den Tod meiner Großmutter (mütterlicherseits) zu realisieren. Wieder lag ich falsch. Bei ihr hatte ich am allerwenigsten damit gerechnet, dass sie als erste aus dieser Generation geht. Nicht dass es bei jemand anderem ein weniger großer Verlust gewesen wäre (natürlich nicht!), nur war ich bei ihr am wenigsten darauf vorbereitet. Es ist nun umso schwerer, dem ganzen einen Sinn, oder gar etwas Positives abzugewinnen, weil die üblichen Phrasen einfach nicht passen wollen. ("Sie war alt genug", "Wenigstens hat sie sich nicht gequält", etc.)

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Leben heißt Veränderung, das weiß ich so gut wie jeder andere.

Leider konnte ich nie besonders gut mit Veränderungen umgehen, zumindest kommt es mir so vor. Nicht dass ich nicht wüsste, dass Veränderungen auch positiv sein können, oder gar dass ich wollte, dass alles immer gleich bleibt... Ich glaube es fällt mir oft nur schwer, mit Dingen wirklich abzuschließen.

Obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist und ich lieber im hier und jetzt leben sollte, erwische ich mich allzu oft dabei, wie ich mich in alten Bildern, oder gar auf alten Internetplattformen verliere. Meistens sind es dann "Was wäre gewesen, wenn..."-Szenarien, die mich umtreiben.

Life is becoming, not being. "Das Leben ist Werden, nicht Sein." - Diesen Satz hat mir mal jemand hinterlassen und je älter ich werde, desto mehr Wahrheit finde ich in diesen Worten. Das Problem ist nur... manchmal würde ich gern einfach nur sein. Kennt Ihr das?

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So langsam fühlt sich dieser Text wie ein Brief an die Vergangenheit an, daher komme ich nun besser zum Ende.

Ich freue mich über jeden von Euch, der es (diesen Text und auch Euer Leben) bis hierher geschafft hat. Noch mehr würde es mich natürlich freuen, wenn Ihr diesen Blick auf die Vergangenheit durch ein paar Worte mit etwas Gegenwart füllt.

Aber keine Sorge: Dass ich Euch diesen Text geschickt habe heißt nicht, dass ich Reaktionen von jedem Einzelnen erwarte. Dafür ist alles viel zu lange her.


Macht's gut und bleibt gesund!

Euer Micha

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P.S.: Dass ich wieder hier geschrieben habe, heißt nicht, dass ich den Blog wiederbeleben will. Vielleicht kommt nochmal was, vielleicht aber auch nicht. Wer weiß...