Mittwoch, 28. August 2019

Taking chances





Wenn im Leben eines Menschen etwas Unvorhergesehenes passiert – etwas, das schockiert, aus der Bahn wirft und das Leben auf den Kopf stellt -, fällt ein Satz oft leichtfertig:

„Sieh es als Chance.“

Was für ein Bullshit. Oder könnt Ihr Euch vorstellen, jemandem der seine Beine bei einem Unfall verloren hat, zu sagen: „Sieh es als Chance“? Ich bin mir sicher, dass er sich seine Beine allein schon aus dem Grund zurückwünschen würde, um Euch in den Arsch zu treten.

Und doch… ist etwas Wahres daran. Nicht in dem Sinne, dass man glauben sollte, der Schicksalsschlag stellt sich am Ende als etwas Positives heraus… Eher wie…

Lasst mich versuchen, es mit einem Beispiel zu verdeutlichen:

Der Tod des eigenen Partners ist eine absolut furchtbare Sache & umso furchtbarer, je jünger man ist. Ich denke, jeder wird mir zustimmen, dass es kaum ein denkbares Szenario gibt, in dem man einem solchen Fall ernsthaft etwas Positives abgewinnen kann. Oder das überhaupt will…

Nun stellt Euch vor, Ihr wolltet schon immer auf dem Jakobsweg pilgern, aber Euer Partner wollte es nicht. Stellt Euch vor, Ihr habt Euch von dem Gedanken verabschiedet, weil Ihr Euren Partner nicht für über einen Monat mit den gemeinsamen Verpflichtungen allein lassen wolltet. 

Jetzt spielt es keine Rolle mehr. Jetzt könnt Ihr, wenn Ihr wollt.

Es hilft nicht im Geringsten & es macht die Situation kein Stück besser… Aber es ist trotzdem eine Chance. Irgendwie. (Ich bin dennoch der Meinung, dass man das den Betroffenen nicht so sagen sollte. Das wäre pietätlos. Und makaber.)

Man muss irgendwann den Tatsachen ins Auge sehen. Die Scheiße (welche auch immer) ist passiert und egal, was wir tun oder nicht tun: nichts macht es mehr ungeschehen. Wir können nur hoffen, dass sie mit der Zeit aufhört, zu stinken.

Also macht man sprichwörtlich „das Beste draus“. Diese Redewendung ist kein bisschen besser, als die mit der Chance – und mindestens genauso unbeliebt. Aber ebenfalls zutreffend.

Was soll man auch anderes tun? Weitermachen wie vorher ist meist keine Option & es absichtlich noch schlimmer zu machen klingt auch nicht wirklich verlockend.

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      Was passier'n soll, wird passieren
      Und man kann es zwar probieren
      Doch wer kämpft, der kann verlieren
Um dann wieder aufzusteh'n

      Und man hadert mit dem Frust
      Und man kämpft mit dem Verdruss
      Doch manchmal braucht es den Verlust
Um die Chance darin zu sehen



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Hallo zusammen.

Nachdem der letzte Eintrag hier ziemlich allgemein gehalten war, soll dieser wieder etwas mehr direkten Bezug zu meinem Leben haben. Ein „Lagebericht“, wie ich es früher oft genannt habe.

Mein neues Leben ist jetzt ein dreiviertel Jahr alt und schon seit einigen Monaten nutze ich ganz bewusst die „Chancen“, die es mir bietet. Anfang des Jahres war es noch kaum vorstellbar und „mach das Beste draus“, war das Letzte, was ich hören wollte… Und doch ist es genau das, was ich jetzt tue.

Ich habe kein Grundstück mehr, was für mich zunächst viel weniger Raum zur eigenen Entfaltung bedeutet hat. Das bedeutet es auch jetzt noch – daran hat sich nichts geändert. Aber es bedeutet auch mehr Zeit. Mehr Zeit für die eigene Entfaltung, wenngleich auf engerem Raum. Mehr Zeit, um Chancen zu nutzen.

Im Moment nutze ich die Chance, doch noch ein paar Worte aufs virtuelle Papier zu bringen… Bevor mir die Ideen irgendwann ausgehen, oder ich am Schreiben einfach keine Freude mehr finde. Oder bevor sie endgültig niemand mehr lesen will…

Und sonst so?

Auch sonst waren die letzten Monate geprägt von unverhofften Chancen und ungewollten Tauschgeschäften. Der Kummer im Anschluss an die Trennung hat meinem Körper einiges abverlangt und mich in einem ziemlich unansehnlichen Zustand zurück gelassen... Also fing ich an zu trainieren. Und hatte Spaß daran. Also stellte ich meine Ernährung um & kochte deutlich mehr. Und hatte Spaß daran.

Dennoch hätte ich diese "Trade Offs" wohl niemals freiwillig getätigt. Mein beschauliches Leben im Wald gegen Schweiß, sowie klappernde Töpfe und Pfannen in einer kleinen Wohnung? Bestimmt nicht.

Aber ich wurde nicht gefragt.

Und andererseits... Ungewissheit, Unsicherheit & das ständige Gefühl, dass irgendetwas falsch ist gegen ein gesundes Ich-Gefühl & echte Kontrolle über das eigene Leben? Jederzeit.

Perspektive. Fokus.
Mach das Beste draus.

Ein bisschen Schönreden gehört immer dazu. "Schlimm genug" ist es von alleine... Oder wird es irgendwann wieder - im Laufe der Zeit. Da brauchen wir nun wirklich nicht nachzuhelfen. 

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Schlimmer wird es immer von allein. Und wenn nicht, dann darf man froh sein. Aber das Gute und Erfreuliche... das braucht manchmal ein bisschen Hilfe.

Jeder von uns hat Chancen liegen lassen. Bewusst, oder unbewusst... Und jeder von uns hat sein eigenes Päckchen voller Reue. Voller Dinge, die am Straßenrand liegengeblieben sind, weil wir nicht zugegriffen haben, als wir die Chance dazu hatten. Vielleicht haben wir zu lange gezögert, vielleicht haben wir die Chance nicht als solche erkannt, vielleicht hatten wir Angst.

Es spielt keine Rolle mehr, denn jetzt ist es zu spät.

Aber es ist auch normal. Jeder von uns sammelt Reue an - im Großen, oder im Kleinen - und wir können nicht viel dagegen tun. Unser Weg ist (hoffentlich) lang und man kann nicht immer jede Chance ergreifen. Sei es drum. Es wird neue geben.

Denkt mal für einen kurzen Moment darüber nach. Vermutlich fallen jedem von Euch ein paar Dinge ein, die man bereuen würde nicht zu tun. Ein paar Chancen, von denen Ihr wisst, dass Ihr sie so langsam ergreifen solltet. Vielleicht ist es schon eine kleine Liste voller Chancen... Versucht sie möglichst kurz zu halten. 

(Ich gehe an dieser Stelle mal voran, denn, wie einige von Euch wohl wissen, habe ich vor einem Monat das Rauchen aufgegeben. Kein Riesenschritt, aber vielleicht irgendwann bedeutsam.)

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Bleiben wir noch kurz bei Chancen. Und bei Perspektive und Fokus.

Ich hatte vor kurzem die Chance, mit einem kleinen Gespenst aus der Vergangenheit für kurze Zeit in den Tiefen dieses Blogs zu wühlen. Sich im Früher zu verlieren und in dem, was vor 10 Jahren war.

Was mir unweigerlich aufgefallen ist, ist die Menge an Pathos und Dramatik, die sich in meinen alten Texten wiederfinden... Denn obwohl dieser hier schon der "positivste" meiner 3 Blogs war, waren manche meiner Zeilen sehr von Pessimismus und Verzweiflung geprägt. Und das kann ich immernoch verstehen...

Ich liebe die Dramatik und den Pathos auch heute noch. Vieles ist irgendwie immernoch wahr... Aber ich kann meine Texte nicht mehr im Ganzen so halten und trotzdem noch ehrlich zu Euch sein.

Denn... naja, um ehrlich zu sein: Vieles, was mich damals so bewegt hat, wirkt mit so viel Abstand wesentlich weniger dramatisch. Letztendlich waren wir doch alle noch sehr jung & die wirklichen Probleme fingen (für die meisten von uns & wenn überhaupt) erst an.

Heute sind unser aller Probleme irgendwie existenzieller. Irgendwie greifbarer. Heute hängt wirklich Schicksal daran.

Unter diesem Aspekt kann man - kann ich - mich nicht mehr in Dramatik verlieren & bei jeder Gelegenheit "in Schönheit sterben". Jedenfalls nicht für lange. Wir alle haben Scheiße erlebt. Wir alle wissen, dass es dennoch weitergeht und dass es weitergehen muss. Stehenbleiben ist keine Option mehr.

Auch heute noch sehen die Dinge oft furchtbar aus und auch heute noch ist die Zukunft an manchen Tagen ein einziger Schatten. Aber man muss damit umgehen. Es ist nicht alles so dunkel, wie es manchmal scheint, aber es wird auch längst nicht alles gut werden. So ist es nunmal.

Wir entscheiden uns für einen Weg. Wir gehen ihn... Und wenn er sich als Sackgasse erweist, müssen wir einen anderen finden. Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir keine andere Wahl...



Mancher Tag ist ein Kampf
man verliert ihn und dann
Ist der Abend so bitter
und die Nacht viel zu lang

Und man will nicht mehr weiter
keine Kraft, keinen Mut
Und die Zukunft wirkt düster
und auf Sturm folgt die Flut

Doch es gibt keine Wahl
und es gibt kein Zurück
Keinen einfachen Weg,
keinen Schuss, keinen Strick

Denn nur wer es schafft,
wieder aufzustehen, sieht
Wie die Fluten zurück geh'n
und der Sturm sich verzieht

Und man muss einfach glauben,
dass der Himmel sich klärt
Denn so ganz ohne Hoffnung
ist das Leben nichts wert



Und so muss der Hintergrund heute das dunkelste in diesem Blog bleiben. Schwäche gehört zum Leben dazu, immer. Man kann ziellos sein und planlos. Hin und wieder auch mut- und kraftlos. Aber man darf sich nicht aufgeben... Auch wenn man es vielleicht manchmal möchte.

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Kommen wir so langsam wieder zum Ende, meine Freunde. Und zu den Chancen, die mir besonders am Herzen liegen. Ich habe es schon in meinem letzten Eintrag erwähnt und werde nicht müde, es wieder zu tun:

Unser aller Wege haben sich irgendwann mal gekreuzt. Irgendwann stand ich jedem von Euch mal sehr nahe. Heute habt Ihr Eure eigenen kleinen Planeten, von denen manche in anderen Sonnensystemen zu liegen scheinen. Vorbei zu schauen und wenigstens kurz hören zu können, was bei Euch so los ist, war das beste, was das Schicksal mir an neuen Chancen geboten hat.

Natürlich musste nicht wirklich etwas passieren, damit ich diese Chance bekomme... aber irgendwie wohl doch.

Macht es besser als ich und lasst Euch ruhig helfen, wenn das eigene Päckchen mal zu schwer wird. Oder macht den ersten Schritt in die Richtung von jemandem, bei dem ihr immer denkt "es ist schon viel zu lange her". Oder begrabt diesen albernen Streit von vor Jahren. Ihr wisst doch eh kaum noch, worum es damals ging.

Nutzt die Chancen mit den Menschen, die Euch wichtig sind (oder waren), denn auch diese Gelegenheiten ziehen irgendwann vorbei. Irgendwann... für immer.

Und außerdem: Was habt Ihr zu verlieren?



You'll do it soon, you always say;
Perhaps today, at last -
But time is quick to slip away,
And chances swiftly passed.

There's always more for you and yours,
You hope inside your heart -
But life's bizarre, and closes doors,
Before you've time to start.

So take the time to make it right,
And know, for what it's worth -

Perhaps you'll raise a spark of light,
On someone's lonely Earth.
(Sam Garland)
 


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Also dann, liebe Freunde & Mitstreiter, 
liebe Schatten & Gespenster aus der Vergangenheit...

Hier endet der heutige Ausflug mal wieder, der dann doch irgendwie weniger ein "Lagebericht" war, als geplant. 

Wo auch immer ich Euch grad erwische - in der Mittagspause, der Bahn, oder im Bett: Ich hoffe, es geht Euch gut & freue mich, dass Ihr da wart.

Und wenn Ihr Lust habt: Nutzt die Chance & schickt mir ein paar Zeilen. Hier, oder über den Kurznachrichtendienst Eurer Wahl.


Vielleicht bis bald

Micha



2 Kommentare:

  1. Früher war wirklich mehr Drama. Oder wir sind mittlerweile einfach abgestumpft. :)

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    1. Oder wir behalten das Drama heute einfach lieber für uns... Mit wem hab ich hier eigentlich die Ehre?^^

      - Micha

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