Freitag, 24. Januar 2025

Voyage, Voyage

 

Vorvergangene Woche ist meine Nachbarin verstorben. Eine Frau, mit der ich seit 6 Jahren direkt Tür an Tür gelebt habe. Wir haben uns freundlich gegrüßt, man hat sich gegenseitig die Tür aufgehalten, aber wir haben nie geredet.

Als es passierte habe ich lediglich die Hektik auf unserem Flur bemerkt und dass Rettungswagen, Notarzt und Polizei stundenlang vor dem Haus standen. Heute hat mir mein Nachbar von Gegenüber dann erzählt, was geschehen ist, weil er einen der Rettungssanitäter kennt: Meiner Nachbarin wurde an jenem Abend plötzlich schlecht und schwindelig - sie schaffte es gerade noch, ihren Enkel anzurufen. Als dieser eintraf, lag sie bereits bewusstlos auf dem Fußboden ihrer Wohnung. Die Rettungskräfte, die etwas später dazukamen, erklärten sie noch vor Ort für tot. 

Sie war 57. Ihren Namen kannte ich nicht.

 

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Ich spiele schon seit langer Zeit mit dem Gedanken, meinen Job zu kündigen. Wobei... eigentlich stimmt diese Formulierung nicht - ich ringe vielmehr mit mir selbst. Es ist nicht so, dass ich die Arbeit für unerträglich halte, oder zu erschöpft bin, um weiter zu machen... Vielmehr wird die Luft einfach langsam zu stickig in dieser kleinen Welt. Mit jedem Augenblick verschwimmen Dinge, die man vor kurzem noch klar zu sehen glaubte. Nach jedem Wimpernschlag nehmen die formlosen Schatten in meinen Augenwinkeln ein wenig mehr Gestalt an. In jeder Sekunde vergehen Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre und... und...

Und mit diesen Gedanken im Hinterkopf mache ich einfach weiter, wie bisher. Geld sammelt sich auf meinem Konto, ohne dass ich irgendetwas (fundamental) sinnvolles damit anzufangen wüsste - zu viel, um es nicht zu schätzen zu wissen, aber zu wenig, um in absehbarer Zeit einen (fundamentalen) Unterschied zu machen.

Seit gefühlten - und wohl auch gelebten - Jahrzehnten rede ich von Spuren, die man hinterlässt. In den Leben anderer und vielleicht auch in ihren Herzen. Aber wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, sehe ich davon nur noch sehr wenig. Die Spuren sind bestenfalls noch sehr sporadisch erkennbar und auch nicht sonderlich tief. 

Was wäre, wenn ich morgen hier auf dem Fußboden liege? Wer würde das überhaupt noch mitbekommen? "Lebe für den Moment" ist die Prämisse, der man wohl eigentlich folgen sollte - das weiß ich so gut, wie jeder andere auch. Aber ich war nie besonders gut darin. Ich hatte schon immer eine ungesunde Obsession wenn es darum ging, ob sich andere wohl an mich erinnern würden. Ist das eine selbstherrliche Art zu denken? Schon möglich...

In this world or the next...

In jedem Fall waren das Schreiben und die Musik immer ein nützlicher Knebel für die imaginären Stimmen, die ständig die Fragen aus dem letzten Absatz in meine Gedanken gebrüllt haben. Schließlich habe ich ja mit jedem Song auf Youtube und jedem Post in meinem Blog kleine Zeitkapseln in den Weiten des Internets (das ja bekanntlich niemals vergisst) hinterlassen - für jene, die sich vielleicht erinnern möchten. Und jetzt, wo ich immer weniger Zeit für soetwas finde (oder schaffe), merke ich, wie sehr ich diesen Knebel tatsächlich brauche.

Es fühlt sich irgendwie an, wie die Definition des "Main Character Syndrome"... Warum befasse ich mich mit der Frage, wie andere sich irgendwann an mich erinnern werden? Menschen, die mich womöglich bereits vergessen haben. Einfach weil man nicht wahrhaben will, wie wenig Gedanken andere tatsächlich an uns verschwenden...? Oder?

 

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Komm in mein Boot...

Jetzt, wo sie niedergeschrieben sind, wirken all diese Gedanken fast wie ein Fiebertraum. Wer weiß schon, woher dieser Drang kommt und was dahinter steckt? Vielleicht geht es am Ende auch einfach nur um den Wunsch, sich mitzuteilen, während der tatsächliche Kontakt mit den Menschen, die einem einst wichtig waren, immer seltener wird.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass sich alles nie wieder so bedeutend angefühlt hat, wie an diesem einen, undefinierten Sommerabend mit 16, oder 17. Als man gemeinsam an einem namenlosen See saß und sich zweifelsfrei darüber einig war, worauf es in diesem Leben ankommt... So verzerrt die Laute auch gewesen sein mögen, die die eigene Zunge - geschwächt vom Alkohol - in diesem Moment geformt hat: Sie waren die Wahrheit. Eine Wahrheit so fundamental und unumstößlich, wie sie es nie wieder sein würde.

Oder vielleicht ist das auch alles Unsinn und Schreiben & Musik sind einfach noch immer die Dinge, denen ich meine Zeit widmen will. Die Pläne, die ich vor bestimmt 20 Jahren für "den letzten Abschnitt meines Lebens" geschmiedet habe, haben vielleicht noch immer Bestand... Einfach irgendwann verschwinden. An einen Ort, wo mich tatsächlich niemand kennt. Und nur das zurücklassen, was von diesem Leben hier übrig bleiben soll. Als Zeitkapseln. Als Erinnerungen.

... und vielleicht muss ich mir einfach nur die Zeit nehmen, um noch ein paar Zeitkapseln zu erschaffen.

 

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Macht's gut liebe Freunde... und vielleicht bis bald.

Micha

Donnerstag, 29. August 2024

Schlechte(?) Angewohnheiten

 

 “I love deadlines. I love the whooshing noise they make as they go by.” 

- Douglas Adams

Und wieder sind die Tage ins Land gezogen. Wochen... Monate... Jahre gar! Viereinhalb, um verhältnismäßig präzise zu sein. Eigentlich unbegreiflich, mein letzter Post ist von Februar 2020. Da zieht eine Jahrhundertpandemie durchs Land, die uns alle an unsere Wohnungen fesselt & ich habe nichts besseres zu tun, als mit dem Schreiben AUFZUHÖREN? Absurd. 

Aber naja... wenn ich ehrlich zu Euch und mir selbst sein soll... gab es wohl wirklich einfach nichts mehr zu berichten. Das Schreiben war mehr Therapie, als alles andere & als es keinen Bedarf dafür mehr gab, sind die Worte einfach... versiegt. Und wäre das noch immer der einzige Auslöser, um hier etwas zu "Papier" zu bringen, würde die Seite wohl leer bleiben - so wie all die anderen der vergangenen 4 Jahre.

Denn es geht mir... ziemlich gut.

Ich weiß, ich weiß... für jene, die meine Blogs schon länger verfolgen, muss dieser Satz geradezu ketzerisch klingen. "Dem geht es doch nie gut!" und "Niemanden interessiert Deine gute Laune!" höre ich die Leserschaft aufschreien - bewehrt mit Mistgabeln und brennen Knüppeln. Bereit, dem gottelästerlichen Irrsinn ein Ende zu bereiten, den ich hier in unsere Realität tippe.

Und doch ist es so. Ich habe wenig zu meckern, auch wenn sich die greif- und sichtbaren Umstände nicht nennenswert geändert haben. Die letzten Jahre haben mich zu einem regelrechten Einsiedler gemacht, was erstmal nicht wirklich positiv klingt, aber... es bekommt mir gut. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass ich nun auch zu den Leuten gehöre, die regelmäßig "Zeit für sich" brauchen und Ihre "sozialen Batterien" laden müssen. Andere Menschen sind nunmal anstregend... Und wenn sie einem besonders wichtig sind? Dann umso mehr.

Jetzt ist es eben so. Die Dinge sind, wie sie sind & die Menschen in meinem Umfeld müssen halt mit dem dunklen Schleier von Argwohn leben, der sich über mein Gesicht legt, wenn sie absurde Sachen vorschlagen, wie z.B.: "Vor die Tür" gehen, oder gar "unter Leute"... Selbst Schuld, wenn sie mich mit derart abenteuerlichen Spinnereien behelligen.

Nun ja, ganz so schlimm ist es dann wohl doch nicht. Aber ich lebe jetzt zurückgezogener, was jedoch nicht bedeutet, dass man kein Bedürfnis mehr hat, sich mitzuteilen... und deshalb... naja, das hier.

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“The story so far:
In the beginning the Universe was created.
This has made a lot of people very angry and been widely regarded as a bad move.”

- ebenfalls Douglas Adams

Es ist - oder müsste - jetzt so ziemlich genau 20 Jahre her sein, dass ich begonnen habe, meinen ersten Blog zu schreiben. Da kann man doch nicht mehr einfach komplett aufhören, oder? Genauso wenig, wie ich jetzt die Musik aufgeben könnte. Nach so langer Zeit würde sich das doch anfühlen, wie... Selbstverlusst.

Und so lande ich wieder hier. Zum (mindestens) dritten mal froh über die "Passwort vergessen?"-Funktion.

Wie einige von Euch vielleicht via Social Media mitbekommen haben, ist mir vor einer Weile die Festplatte meines letzten Laptops abgeraucht. Was ich jedoch nicht so offen kommuniziert habe ist, wie nachlässig ich mit BackUps war... Quasi alles, was ich je geschrieben habe, ist dabei verloren gegangen - abgesehen natürlich von den Dingen, die ich mal auf Seiten hochgeladen habe, die auch heute noch existieren (und dem winzigen Teil, den es in Papierform gibt).

Im ersten Moment hat mich das natürlich irgendwie getroffen... aber auf der anderen Seite: Wie wahrscheinlich ist es, dass man tatsächlich noch dazu kommt, unfertige Gedanke von vor 10, 15, oder 20 Jahren zu Ende zu führen? Eben.

Und doch: Es sind auch Gedanken und Texte aus einer Zeit verloren gegangen, an die ich mich ab & zu noch ganz gern erinnere. Denn, man mag es kaum noch glauben, aber es gab mal eine Zeit, in der die Menschen tatsächlich (und freiwillig!) Blogs gelesen haben.

Was für eine wilde Zeit (am Leben erhalten von der Waybackmachine), in der eine kleine Gruppe von 3 Freunden gemeinsam in der Bestenliste der damals wohl größten deutschen Blog-Seite hofierte. In der die eigenen Gedanken andere noch tausendfach im Monat zum Lesen bewegen konnten - so edgy und zusammenhanglos diese Gedanken auch manchmal gewesen sein mögen. 
Die Identitäten der 3 Freunde aus dem obigen Screenshot verrate ich an dieser Stelle aber natürlich nicht. Die Vergangenheit muss auch einmal ruhen.

Alas, my friend: That ship has sailed.

Und doch würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir dieses sprichwörtliche Schiff nicht manchmal fehlt. Mir fehlt es, bis viel zu spät in die Nacht an der Tastatur zu sitzen, dabei zu viel zu trinken und den Stimmen im Kopf einfach freien Lauf zu lassen. Aber wenn ich das jetzt mache, in diesem Moment, nach 20 Jahren des (unregelmäßigen) Tippens, fühlen sich die meisten Sätze so unglaublich banal an. Wen interessiert sowas?

Aber auf der anderen Seite: Was ist nicht banal? Wir fotografieren unser Essen, Sonnenuntergänge, wahllose Gebäude in Berlin, oder filmen Katzen auf der Straße und teilen das Ganze dann mit der Welt - als hätten andere so etwas noch nie gesehen. 

Ist sowas vielleicht trotzdem wichtig? Die kleinen Dinge des Alltags, die uns in unseren eigenen, kleinen Leben erfreuen? Und die kleinen, bedeutungslosen Gedanken, die uns allen manchmal durch den Kopf gehen? Ist das vielleicht der Kit, der uns in einer Zeit zusammenhält, in der unsere Beziehungen meist durch zwei Bildschirme getrennt sind? Brauchen wir vielleicht das Gefühl, dass wir die gleichen Tiere niedlich finden, oder manchmal die gleichen, beudeutlungslosen Gedanken haben?

 

“I refuse to answer that question on the grounds that I don't know the answer”

- Ihr habt es erraten: Douglas Adams

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Und mit dieser offenen Frage überlasse ich Euch dann auch wieder euch selbst, liebe Freunde. Es ist zu spät, ich habe zu viel getrunken - aber zumindest habt Ihr jetzt wieder die Möglichkeit, an meinen bedeutungslosen, kleinen Gedanken teilzuhaben. Ich wünsche Euch alles Gute, bleibt mir gewogen...

... und vielleicht bis bald

Micha 

Dienstag, 25. Februar 2020

Es ist, wie es ist.


"Ist es nicht verrückt wie sich Tag für Tag nichts verändert, doch wenn man zurück schaut ist trotzdem alles anders..."
- C.S. Lewis

Hallo.

Mittlerweile haben wir schon fast März und im laufenden Jahr habe ich noch nichts „zu Papier“ gebracht. In erster Linie liegt das wohl daran, dass es immer schwerer wird, noch ein paar zusammenhängende Gedanken zu finden, die man für erwähnenswert hält und die hier – auf die eine, oder andere Art – noch nicht verewigt wurden.

Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, dass ich – mit viel Hilfe einer lieben Freundin – aus meiner Grube voller Selbstmitleid gekrochen bin, um mein „neues“ Leben zu akzeptieren und… naja, das Beste daraus zu machen. Rückblickend glaube ich, dass das Akzeptieren der weitaus schwerere Teil war – die Veränderung und Anpassung an die neuen Umstände hingegen war der interessante.

Motivation kommt nicht nur durch den Willen, etwas zu verändern, sondern auch dadurch, dass man die Möglichkeiten zur Veränderung / Verbesserung erkennt. Im Frühjahr 2019 gab es noch ausreichend Möglichkeiten dazu, weshalb es mir in dieser Zeit wohl auch emotional am besten ging. Motivation und das Anerkennen vieler kleiner Siege können einen ziemlich gut über Wasser halten – es braucht nicht immer das Große und Außergewöhnliche.

Dummerweise hält dieser Zustand meist nicht ewig an. Seit einigen Monaten bin ich an einem Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich mein Leben in allen wichtigen Aspekten im Griff habe. Vieles könnte deutlich besser sein, vor allem was die eigentlichen Lebensumstände angeht, aber es gibt auch keine dringenden Baustellen mehr. Was ich schaffen wollte, habe ich – soweit ich es beeinflussen konnte – geschafft und die kleinen Errungenschaften, auf die man zumindest insgeheim stolz war, sind zu einem Teil des Alltags geworden. Es ist nicht mehr nennenswert, wenn ich von Tag zu Tag schaffe, was mir vor einem Jahr noch wie eine Herausforderung erschien…. Es wäre nur noch erwähnenswert, wenn ich es nicht schaffe.

Im Großen & Ganzen hat sich also sehr wohl einiges geändert (wenngleich die Veränderungen auch keine dramatischen waren, wie ich es bereits in meinem letzten Beitrag erwähnt habe) – von Tag zu Tag jedoch tut sich nichts mehr. Zumindest fühlt es sich so an. Es fehlen die kleinen Herausforderungen, die zu kleinen Siegen führen können, über die es sich zu berichten lohnt (auch wenn sie anderen vielleicht marginal erscheinen). Stattdessen sind nur die Anforderungen gewachsen, die man an sich selber stellt. Ihnen gerecht zu werden ist nicht das gleiche, wie ein Sieg & definitiv nichts, worüber es sich zu schreiben lohnt.

Das ist im Prinzip auch völlig in Ordnung so, denn es sollte nicht der Erwähnung wert sein, dass man mit 33 seinen Alltag meistert und einfach… naja… funktioniert.

Und dennoch: Die Aussicht, dass es für absehbare Zeit wohl so bleiben wird – dass es nur noch darum geht, nicht an den immergleichen Hürden zu scheitern… Diese Aussicht ist manchmal unglaublich deprimierend.

Das klingt irgendwie nach Jammern auf hohem Niveau. Fast als würde ich mir mehr Probleme in meinem Leben wünschen... So ist es natürlich nicht gemeint. Ich habe es nur geschafft, mich sehr gut an Umstände anzupassen, die mir eigentlich zuwider sind, während ich mich gleichzeitig nicht in der Lage fühle, etwas an diesesn Umständen zu ändern. Man fühlt sich irgendwie gefangen.

"Es gibt kein richtiges Leben im Falschen", so sagt man wohl...

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„Alles, was Du tun musst, ist einen wahren Satz zu schreiben. Schreib den wahrsten Satz, den Du kennst.“
- Ernest Hemingway

Es ist, wie es ist.

Ich glaube, ich kenne keinen Satz, der mehr Wahrheit birgt und deswegen sind das wohl auch die Worte, die ich am häufigsten vor mich hinmurmele, wenn die Stille, die Leere und der Gedanke an morgen nicht mehr zu ertragen sind.

Es ist, wie es ist. Und es kommt, wie es kommt.

Das ist fast schon zu einem Mantra geworden, wenn ich mich zu sehr an Umständen aufreibe, die ich schlichtweg nicht ändern kann (was viel zu häufig vorkommt). Im Gegensatz zum optimistischen „Du hast es in der Hand“ ist das zwar eine äußerst triste Sicht auf die Dinge, aber sie bietet auch eine Art trostlose Beruhigung… Wie der Blick auf einen wolkenverhangenen Himmel. Keine Sonne, keine Sterne – aber auch kein Regen und kein Sturm. Trostlos, aber unbedrohlich.

Rückblickend gehört wohl auch das zu den Dingen, die sich im vergangenen Jahr geändert haben. Depressionen und das Gefühl der Einsamkeit gehörten auch schon früher zu meinem Leben dazu, aber mein altes Leben bot mehr Möglichkeiten zur Ablenkung und Flucht. Jetzt bleiben mir nur stoische Akzeptanz und der Gedanke, dass ich an manchen Dingen einfach nichts ändern kann.

Der Sturm zieht durch und richtet seine Schäden an. Wenn er vorbei ist, versucht man etwas Ordnung zu schaffen und irgendwann kommt dann der Nächste. So läuft es und so geht es weiter. Man gewöhnt sich an alles.

Ein Bier, ein Glas Wein, der Blick aus dem Fenster… Es ist, wie es ist. Und es kommt, wie es kommt.

Natürlich hilft diese Einstellung nicht in dem Sinne, dass sich dadurch irgendetwas verbessert. Die Trauer wird nicht weniger intensiv und die Nacht nicht weniger dunkel… Aber man erspart sich den Druck und die Enttäuschung, wenn man einfach nicht dagegen ankämpft.

Auch versuche ich in solchen Situationen mittlerweile, die Finger von meinem Handy zu lassen und mich nicht mehr an andere zu wenden. Man fühlt sich dann ohnehin nicht wirklich zurechnungsfähig… Lieber sage ich also nichts, als dass ich die Situation unnötig dramatisiere, oder Dinge schreibe, die mir später vermutlich unangenehm sind, weil einem die eigenen Gedanken im Nachhinein selbst fremdartig vorkommen.
Ich rede mit manchen Leuten dennoch häufig über diese Themen (und finde das auch sehr wichtig), nur eben nicht, wenn der Sturm gerade tobt… denn ich treibe ihn nicht gern durch anderer Leute Leben.

Keine Ahnung, ob das eine „gute“ Herangehensweise ist – viele würden dem wohl widersprechen. Besonders gesund ist sie vermutlich auch nicht. Aber für mich funktioniert sie… irgendwie.

Es ist, wie es ist.

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"Soll ich mir das Leben nehmen, oder eine Tasse Kaffee trinken?"
 - Albert Camus

Viel pragmatischer (als im o.g. Zitat) kann man mit extremen Umständen wohl nicht umgehen. Irgendwie finde ich das echt beneidenswert…

„Erwachsensein ist scheiße!“… Ich bin sehr froh, dass ich diesen Satz in der letzten Zeit auch von anderen gehört habe & mit dieser Ansicht scheinbar nicht alleine bin. Man fühlt sich manchmal unglaublich dysfunktional, wenn man mal wieder feststellen muss, dass bestimmte Dinge nicht dadurch leichter werden, dass man älter wird. Gewohnheit spielt natürlich eine große Rolle beim Umgang mit den Hürden des Alltags – sie kann vieles erleichtern & kommt mit zunehmendem Alter. Oft habe ich aber dennoch das Gefühl, dass die Essenz des Erwachsenseins nicht ist, alles besser meistern zu können. Vielmehr hört man einfach auf, seine Zweifel zu äußern (nicht zuletzt, weil sie einem unangenehm sind) und wirkt dadurch sicherer. „Fake it till you make it.“

Das Leben, die Gesellschaft – sie erwarten dass man funktioniert. Somit hat man dann kaum eine andere Wahl, als einfach pragmatisch mit Selbstzweifeln und der Gefahr des Scheiterns umzugehen. Man fragt immer seltener nach Rat, oder Hilfe – schließlich schaffen andere es doch auch „allein“. Und so begegnet man dem nächsten neuen Hindernis, wie schon den vorherigen: widerwillig und mit dem ständigen Gefühl, unvorbereitet zu sein.
Man unternimmt Anlauf um Anlauf in der ständigen Hoffnung, irgendwann den magischen Punkt zu erreichen, an dem man sich all dem gewachsen fühlt… und nicht einfach nur älter.

Es sind zum Teil wirklich deprimierende Aussichten, die einem das Leben bietet, wenn man sich nicht regelmäßig ablenkt, oder „aus dem Alltag ausbricht“. Dummerweise geht das natürlich nicht immer. Für Ausbrüche muss die Zeit vorhanden sein & die Umstände müssen stimmen… und von manchen Sorgen kann man sich schlichtweg nicht ablenken.

Ich verliere den Faden, glaube ich…

Manchmal ist es halt einfach scheiße und Gedanken ala „Soll ich mir das Leben nehmen, oder eine Tasse Kaffee trinken?“ wirken dann nachvollziehbarer, als ich es zugeben möchte. Vielleicht auch, weil es fast schon wieder komisch wirkt, wenn man es derartig trocken betrachtet. In diesem Sinne schaffe ich jetzt auch keine zusätzliche Dramatik mehr & spare mir auch die Gedichte. Statt dessen schließe ich stimmungsgerecht mit den Worten von Monty Python:

„Life's a piece of shit,
When you look at it.
Life's a laugh and death's a joke, it's true,
You'll see it's all a show,
Keep 'em laughing as you go.
Just remember that the last laugh is on you!"

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Das war es vorerst wieder… und aktuell habe ich ernsthafte Zweifel daran, ob hier nochmal was folgen wird – zumindest in dieser Form. Aber wer weiß, vielleicht sieht das in ein paar Wochen schonwieder ganz anders aus. Erfahren werdet Ihr es in jedem Fall…

Obwohl, eins noch:

Nehmt Euch kein Beispiel an mir. Wenn es bei Euch mal stürmt, meldet Euch ruhig – gern auch bei mir. Ihr wisst ja, wie man so schön sagt: „Do as I say, not as I do.“

Also dann… Kommt gut durch die letzten Atemzüge dieses „Winters“. Vielleicht ließt man sich ja nochmal.


Micha


Donnerstag, 19. Dezember 2019

Taking chances pt. 2 - letzte Chancen


An irgendeinem Punkt in unserer Kindheit, haben wir uns zum endgültig letzten Mal mit unseren Freunden zum Spielen getroffen. Wir waren uns dessen höchstwahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst und nur die wenigsten werden noch Erinnerungen an diesen Moment haben… Und doch war es so. Es war das letzte Mal – die letzte Chance. Und für viele wohl auch der Moment, an dem ihre Kindheit endete.

Es ist irgendwie beängstigend, dass so ein bedeutsamer Moment so tonlos und unauffällig an uns vorbeigezogen ist. Man mag es darauf schieben, dass man ja noch ein Kind war und die Erinnerungen an diese Zeit ohnehin bestenfalls vage sind… doch leider stimmt das so nicht unbedingt. Tatsächlich sind die letzten Male, deren Endgültigkeit wir uns vorher bewusst sind – der letzte Schultag, der Auszug bei den Eltern, der Moment, wenn man seinen Hund das letzte Mal zum Tierarzt bringt – eher in der Minderheit. Meistens kommt die Gewissheit erst viel später.

Gerade im zwischenmenschlichen Bereich ist es ziemlich einfach, sich das vor Augen zu führen. Denkt man etwa zurück, an die Menschen, mit denen man seine Jugend verbracht hat, wird man bei den meisten – zumindest im Groben – wissen, wann man sie zuletzt gesehen hat. Was einem aber erst im Laufe der Jahre bewusst wird, ist dass es bei einigen auch das letzte Mal bleiben wird.  Man lässt die letzten Chancen ungenutzt, oder bekommt vielleicht gar keine mehr.

Das an sich ist nicht weiter tragisch, oder besonders – es ist einfach der Lauf des Lebens. Aber ich denke, es ist ein gutes Beispiel, um sich bewusst zu machen, dass einfach alles, was unser Leben ausmacht, endlich ist.

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Das klingt jetzt vermutlich, wie eine „lebe jeden Tag, als wäre es Dein Letzter“-Promotion, aber ganz so meine ich es dann doch wieder nicht… Nicht zuletzt, weil es wohl ziemlich schnell tatsächlich mein Letzter wäre, wenn ich jeden Tag so leben würde.

Vielmehr ist mir in den letzten Monaten besonders klar geworden, wie bedeutsam es ist, all das, was einem wichtig ist, ganz bewusst zu genießen und zu erleben. Klingt irgendwie logisch und selbstverständlich, nicht wahr? Und doch habe ich das vorher, so glaube ich, nie getan – Zeit bewusst genossen und bewusst wahrgenommen, dass bestimmte Momente etwas Besonderes sind. Seit ich das tue (oder es zumindest versuche), erlebe ich vieles anders. Ich freue mich intensiver auf das, was bevorsteht und bin dankbarer für das Erlebte.

Je mehr Jahre wir sammeln, desto grauer und monotoner wird der Alltag. Immer weniger ist neu - das ist nun einmal so. Ich glaube, irgendwann sollte jedem bewusst werden, dass das Gestern mit irgendeinem Tag vor 20 Jahren mehr gemeinsam hat, als mit dem Heute, oder dem Morgen. Genauso, wie ein beliebiger Tag im Dezember 1999, ist das Gestern vergangen, unwiederbringlich und nicht wieder erlebbar.  Daher sollte es keine allzu große Rolle spielen, ob wir uns "erst gestern", oder "erst vor zwei Wochen" Zeit für bestimmte Dinge genommen haben, die uns wichtig sind.

Es ist schön, wenn man den Alltag mit angenehmen Momenten unterbrechen kann, um das Leben ein bisschen lebenswerter zu machen. Es ist noch besser, wenn man diese Momente zu einem Teil seines Alltags machen kann... Zeit für Freunde, für sich, für ein gutes Buch, oder um einfach mal auszubrechen. Man sollte sie sich so oft nehmen, wie man kann, denn irgendwann kann der Satz "es ist ja erst ein paar Wochen her" bedeuten, dass man etwas zum letzten Mal erlebt hat, ohne es in diesem Moment zu wissen.

Menschen kommen und gehen & unser Interesse neigt dazu, allzu schnell verloren, oder im Alltag unter zu gehen - nur um dann an einem Punkt unseres Lebens zurück zu kommen, an dem der Wille, die Zeit, oder die Kraft fehlt. An einem Punkt, an dem die letzte Chance bereits hinter uns liegt.


"Es ist noch Zeit", sagt man sich oft
"für alles, was ich mag."
Und so verschiebt man und man hofft
auf einen and'ren Tag

Doch wenn der Tag gekommen ist,
ist es vielleicht zu spät
Weil jeder allzu gern vergisst,
wie schnell die Zeit vergeht


~ ~ ~


A Nightmare before Christmas

Die Weihnachtszeit ist eine unangenehme Zeit, um allein zu sein - jeder weiß das, denn die Medien predigen es ja in jedem Jahr aufs neue. Und auch wenn die Annahme, dass sich in dieser Zeit die meisten Menschen das Leben nehmen, nur ein Mythos ist, liegt Wahrheit in der Kernaussage.

Ich habe in den letzten Wochen selbst erlebt, was für einen großen Unterschied Gesellschaft in dieser Zeit machen kann, in der das Zusammensein überall in den Mittelpunkt gestellt wird. Ein Abstecher zum Weihnachtsmarkt ist in Gesellschaft eine derartig andere Erfahrung, als ein Besuch allein, dass es fast schon surreal scheint.

In Gesellschaft fühlt man sich irgendwie als Teil eines Ganzen, dass es zum Jahresabschluss tatsächlich geschafft hat, ein bisschen Zufriedenheit in sich und der Welt zu finden. Es gibt unzählige Lichter gegen die Dunkelheit, es gibt Glühwein und Feuer gegen die Kälte. Die Atmosphäre zwingt einen geradezu dazu, anzuerkennen, dass jetzt & hier & in diesem Moment einfach alles in Ordnung ist.

Allein ist die Erfahrung eine andere... Man fühlt sich schnell deplatziert, unzugehörig und fast schon wie ein Störfaktor, in dieser Masse aus Zufriedenheit und Wärme, in der es vornehmlich darum geht, beieinander zu sein. Eigentlich will (und sollte) man so etwas nicht an sich heran lassen, aber irgendwie tut man es dann doch... Besonders, wenn man über so viele Jahre darauf konditioniert wurde, welche Bedeutung diese Zeit für den einzelnen (zu haben) hat. Und so stimmt es dann wohl leider, dass man sich in dieser Zeit des Jahres manchmal einsamer fühlen kann, als sonst unter gleichen Umständen.


In den kommenden zwei Wochen habe ich frei - mal schauen, wie es wird. Es ist, wie gesagt, nicht unbedingt die beste Zeit dafür & ein wenig graut es mir davor...

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Aber man darf nicht missgünstig werden. Es ist trotzdem etwas Schönes und wenn man sich nicht auch einfach für andere freuen kann, hat man - so denke ich - einen Teil seiner Menschlichkeit verloren. Daher freue ich mich... insbesondere für jeden von Euch, der Zufriedenheit, Wärme und Nähe in den letzten Atemzügen des ausklingenden Jahres findet. Wie auch immer Euer 2019 verlaufen sein mag - ich hoffe, Ihr alle habt Eure Gründe, um ein bisschen glücklich zu sein.

Damit verabschiede ich mich dann auch für dieses Jahr...

Vielen Dank für Eure Zeit, für die Kommentare und die Nachrichten - für alles, das ein bisschen Licht in dieses oft recht dunkle Jahr gebracht hat. Ich wünsche Euch eine schöne Weihnachtszeit, viel Freude mit den Menschen, die Euch am liebsten sind und einen guten Start ins neue Jahr. Lasst es Euch gut gehen...


...und vielleicht bis bald.

 Micha


Sonntag, 27. Oktober 2019

Fast ein Jahr


Der November steht vor der Tür. In etwas mehr als einem Monat jährt sich somit der Tag, an dem ich hier gestrandet bin zum ersten Mal. Fast schon ein ganzes Jahr - und so sehr sich manche Tage & Wochen auch in die Länge gezogen haben, so sehr wundere ich mich, wie schnell es vergangen ist. Ich kann nicht anders, als mich an dieser Stelle (mal wieder) selbst zu hinterfragen. Was hat sich verändert?

"Alles und nichts", könnte man sagen. Nachdem ich (mit viel Hilfe) dem Loch, in das ich gestürzt war, entkommen bin, habe ich mir viel Zeit für mich selbst genommen. Zeit, um die Situation zu akzeptieren und mit den eigenen Schwächen ins Reine zu kommen. Und mit den Spuren, die all die Veränderungen an mir hinterlassen haben. Selbstheilung um jeden Preis.

Was das angeht war ich recht erfolgreich, würde ich sagen. Ich habe mit dem Teil meiner Vergangenheit abgeschlossen und sehne mich nicht mehr zurück. Die Zeit, in der ich es fast schon aktiv vermieden habe, mich auf die Gegenwart einzulassen - aus Angst, mich weiter von meinem früheren Leben zu entfernen - wirkt rückblickend fast schon unwirklich. Ich bin jetzt & ich bin hier... und das ist in Ordnung. Die alten Dämonen sind fort, haben aber bei ihrer Abreise die Tür offen gelassen für neue, wie das - oft trügerische - Gefühl der Einsamkeit. Allerdings ist das wohl ganz normal, befürchte ich. Das Leben zieht nicht ohne Spuren an uns vorüber und manche Dinge brauchen einfach Zeit... Wir können sie nicht aktiv ändern, sonder nur lernen, mit ihnen zu leben & hoffen, dass sie irgendwann aus unserem Blickfeld verschwinden.

Jedoch frage ich mich mittlerweile immer häufiger, wie lange ich den Blick - mit der "Ausrede" der Selbstheilung - noch stur auf das hier & jetzt richten kann, während ich vehement ignoriere, was vor mir liegt.

Denn das ist der Punkt, an dem ich eingestehen muss, dass sich nichts verändert hat. Betrachtet man mein Leben an sich, ist alles noch genauso, wie vor fast einem Jahr. Allgemeine Lebensumstände, Wohnsituation, Job... all das, wo Veränderungen dringend nötig sind, liegt weiterhin brach vor mir und ich habe - wenn ich ehrlich bin - noch immer keine Idee, wie die Veränderungen aussehen sollten. Geschweige denn, wie ich sie angehe...

Wenn ich daran denke, befällt mich wieder ein altbekanntes Gefühl. Das der Leere.

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Die Leere.

Sie ist wie ein Ort, an dem man sich plötzlich wiederfindet. Wie ein kleines Zimmer, in dem man im Halbdunkel umher irrt und die Wände abtastet. Die Hände treffen auf Regale, deren freie Fächer einen in den Wahnsinn treiben, weil man sie nicht zu füllen weiß. Oder weil das, was man hineinstellt, ständig aufs Neue zu verschwinden scheint. All das Gute, all das Schöne - alles, was man der Welt gern zeigen möchte, verblasst sobald der Blick zu lange abgewendet wird & verschwindet im toxischen Nebel unserer ständigen Unzufriedenheit.

Sie ist, wie das Gefühl plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Oder wie einer dieser Träume, in denen man versucht zu schreien, aber kein Ton rauskommt.

Eine Trifecta aus Unzufriedenheit, Ungewissheit und Hilflosigkeit. Die Angst davor, dass das vielleicht schon alles war.

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Es gehört viel dazu, die großen Dinge anzugehen, die das eigene Leben (womöglich) zufriedenstellender machen. Man entscheidet sich nicht in einem freien Moment in der Bahn für große Veränderungen, oder einen neuen Weg. Oder doch? Zumeist nicht, glaube ich. Meist erfordern diese Entscheidungen viel Aufmerksamkeit, Fokus und Mut.

Aufmerksamkeit, die bei mir aktuell zu 100% darauf liegt, die Gegenwart lebenswert zu machen. Fokus, den ich auf die schönen - aber vergänglichen - Momente im jetzt lege. Und Mut, den ich aufbringe, um mir in genau diesen Momenten zu erlauben, einfach zufrieden zu sein - um ihre Vergänglichkeit zu ignorieren... und meine weiterhin ungewisse Zukunft.

Ich fühle mich irgendwie noch nicht im Stande dazu, mich den großen Fragen zu stellen, die letztendlich darüber entscheiden werden, wie mein Weg weitergeht. Schon die Ausgangssituation ist irgendwie unklar... Bin ich erst 33, oder schon?
Aber es wird auch nicht wirklich besser, wenn man ins Detail geht. Ich habe noch keine Kinder - will ich überhaupt noch welche? Wie viel "Karriere" ist notwendig, bis ich sagen kann, dass es zum Leben - so wie ich es mir vorstelle - genug ist? Und sind meine Vorstellungen immernoch die gleichen? Die Antworten bleibe ich mir selbst momentan noch schuldig.

Ich bin mir sicher, dass der Spagat möglich ist... Im Leben vorwärts zu kommen, ohne dass man vergisst, auch zu leben. Aber im Moment wirkt es wie eine Aufgabe, an der man wachsen muss, um ihr dann auch gewachsen zu sein. Und so bleibt meine ungewisse Zukunft ein Schandfleck, der mich wohl noch in das nächste Jahr meines "neuen Lebens" begleiten wird.


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Ich stand vor mir und sah mich an
Die Zeit schien still zu steh'n
Ich holte Luft und fragte dann
"Wie soll es weitergeh'n?"

"Was stellst Du an, mit Deiner Zeit?
Ist es das alles wert?
Was hält Dein Weg für Dich bereit?
Ist er schon längst versperrt?"

"Du hast verloren, hast versagt.
Ist Besserung in Sicht?
Was wirst Du tun?"
hab ich gefragt.

"Ich lebe", sagte ich.


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Ja, der Schandfleck bleibt. Aber dennoch habe ich das Gefühl, mein Leben wieder zurück zu haben. Es ist zwar allzu oft schlimmer, als mir lieb ist, aber - ganz allgemein - besser, als ich es vor 11 Monaten erwartet habe.

Die schönen Momente waren nicht unglaublich zahlreich, aber dafür viel realer, als früher. Die ständige Ungewissheit zwingt mich quasi dazu, sie intensiver zu erleben und zu genießen, als in der Vergangenheit. Denn man weiß nie, wann (und ob) es das nächste mal so schön - so lebenswert - ist.

Und so mache ich wohl vorerst so weiter... Investiere meine Zeit in Momente, die es wert sind, gelebt zu werden & die morgen schon nur noch schöne Erinnerungen sind. Ich garniere meine Vergangenheit mit Bildern, Gesprächen, Telefonaten, Chats & dem Gefühl von Gemeinsamkeit, während die ungewisse Zukunft weiterhin lauert & mich stetig daran erinnert, dass es auch eine Zeit nach all den schönen Momenten gibt.

Es sind eben allzu oft nur Momente - nur Augenblicke. Und sie sind immer viel zu kurz. Aber sie sind es, auf die es ankommt, wenn man sich irgendwann die Frage stellt: "Habe ich gelebt?"

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Was ist also nun das Fazit von diesem Rückblick?

Das (fast) vergangene Jahr brachte mir einige Erlebnisse, Situationen & Gespräche, die ich nicht missen möchte & bei denen sich der Gedanke aufdrängt, dass es gut war, was mir passiert ist. Momente, die ich ganz bewusst erlebt habe und die mich in dunkleren Zeiten hoffentlich noch lange daran erinnern, dass es ja nicht immer regnen kann.

Es hatte aber natürlich auch seine Rückschläge. Ich habe Fehler gemacht, die ich bereue und meine andauernde Untätigkeit, was die Zukunft angeht, ist einer davon.

Noch zehre ich irgendwie vom "Früher" und schaffe weiterhin neue Erinnerungen mit "alten" Gesichtern (nur eine Redewendung!). Es ist schön und ich genieße es... aber es kann nicht ewig so weitergehen. Auch das weiß ich.

Unterm Strich waren die vergangenen elf Monate wohl einfach... ganz normales Leben. Mit Höhepunkten und Rückschlägen. Mit Optimismus und Zweifel. Mit Fortschritt und Stillstand.

Ein Leben, wie andere auch.

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Das war es dann auch wieder, liebe Freunde. Hoffen wir, dass dieses Jahr für uns alle noch ein paar Momente zu bieten hat, die es wert sind, erlebt zu werden & sich an sie zu erinnern.

Alles Gute, ein schönes Halloween...


... und vielleicht bis bald.

Micha


Dienstag, 1. Oktober 2019

Die kleinen Dinge


Teil 1: Eine unerwartete Reise

Hallo zusammen. Es gibt wohl verschiedene Auffassungen von Wahrheit. Und während ich mit Fug und Recht behaupten kann, Euch immer die Wahrheit gesagt zu haben... So habe ich Euch vielleicht doch nicht immer alles erzählt. Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war und ich denke es ist an der Zeit, dass Ihr erfahrt, was wirklich geschehen ist...

Meine Geschichte beginnt dort, wo Ihr es bestimmt vermutet habt. Denn sie beginnt, wo jede gute Geschichte anfängt: In einem Loch im Boden.


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Ähm... Moment. Nein, das ist natürlich Unsinn, denn meine Geschichte - bzw. meine unerwartete Reise - begann ja in einem Haus im Wald. (Wenngleich ich mir bewusst bin, dass sich einige von Euch mich wohl ganz gut in einer Hobbithöhle vorstellen können... Schandmäuler.)

Okay, lassen wir das. Ich habe mir jedenfalls vor kurzem mal wieder "Der Hobbit - Eine unerwartete Reise" angesehen. Nicht um mir Inspiration zu holen, sondern weil ich zu denen gehöre, die die Hobbit-Trilogie tatsächlich mögen. "Inspiriert" hat es mich dann irgendwie trotzdem, weil ein bestimmter Dialog sehr gut zu dem gepasst hat, worüber ich in letzter Zeit häufig nachgedacht habe.


Galadriel: "Wieso der Halbling?"

Gandalf: "Ich weiß es nicht. Saruman ist der Meinung, dass nur große Macht das Böse fernhalten kann. Aber ich habe anderes erfahren. Ich finde, es sind die kleinen Dinge, alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfache Taten aus Güte und Liebe."



Alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten... Die kleinen Dinge.

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Und damit hab ich dann auch schon den mentalen Spagat geschafft, um zu dem Thema zu kommen, um dass es mir hier & jetzt geht. "Man sagt einander solche Sachen zu selten." ist ein Satz, der mich in den letzten Monaten verfolgt hat. Ein paar nette Worte gehen manchmal einen sehr weiten Weg, vor allem wenn sie - oft zufällig - genau zur richtigen Zeit kommen.

Sei es ein einfaches "Danke" für eine unbedeutende Nettigkeit, oder dafür dass man einfach zur richtigen Zeit "da war". Oder sei es ein Kompliment für eine unserer kleinen Errungenschaften... zu klein, um damit "prahlen" zu können, aber für jeden selbst vielleicht von großer Bedeutung. Anerkennung und das Gefühl, dass andere Interesse für uns aufbringen, sind wichtig. Wir können uns noch so oft einreden, dass es uns nicht interessiert, was andere von uns denken, aber es ist - so glaube ich - nie so ganz die Wahrheit, denn meist meinen wir damit nur jene, die uns ohnehin nichts, oder wenig bedeuten.

Jeder von uns hat schon längst gelernt, im Alltag eine Maske aufzusetzen, hinter der die meisten Emotionen verborgen bleiben. Freude und oft auch Wut lässt man im Allgemeinen durch, weil sie einen nicht angreifbar machen, aber Trauer, Betroffenheit und auch Rührung - all die Zeichen von "Schwäche" - bleiben meistens im Verborgenen und sind denen vorbehalten, denen wir wirklich vertrauen.

Und so kostet es manchmal Überwindung, sich für einen kurzen Moment zu öffnen, um einfach freundlich zu sein - nicht nur höflich. Man mag es dem Gegenüber oftmals nicht wirklich ansehen, aber ein paar nette Worte von Herzen sind im Allgemeinen ein sicherer Weg, um die Welt eines anderen für einen kurzen Moment ein bisschen heller zu machen. Vor allem, wenn es hinter der Maske grad eher düster aussieht.

Das gehört wohl zu den Dingen, die man erst so wirklich realisiert, wenn man selbst der Mensch hinter der Maske war. Mit ein bisschen Glück erkennt man dann, dass es die kleinen Dinge sind, die unserem Alltag aus Masken und Fassaden ein bisschen von der Distanz und Kälte nehmen, die alles umgeben, was nicht in unserer Komfortzone liegt.

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Für mich selbst kam diese Erkenntnis vor gar nicht allzu langer Zeit - nämlich an Himmelfahrt diesen Jahres. Ich habe meine übliche Radtour zum ersten mal allein unternommen, machte mir jedoch darüber keine besonderen Gedanken, weil ich wusste, dass ich an all meinen Stationen wohl Leute treffen würde, die ich kenne (was im Großen & Ganzen dann auch stimmte).

An einer Station kam ich zufällig mit einer jungen Frau ins Gespräch, die dort einen Fress- und Likörstand hatte und die ich bis dahin nicht kannte. Das Gespräch an sich war nichts besonderes... wir haben etwa eine halbe Stunde geredet - über dies & das. Als ich dann wieder los wollte und wir uns verabschiedeten meinte sie zu mir: "Es war schön, mit Dir zu quatschen. Du bist echt in Ordnung."

Nichts Besonderes, aber es kam zur richtigen Zeit, weil ich noch immer mit den Nachwirkungen der Trennung zu kämpfen hatte. Ich will natürlich nicht sagen, dass diese paar Worte von einer Fremden mein Leben verändert haben - natürlich nicht. Aber die Wirkung war groß genug, dass ich sie auch jetzt, Monate später, nicht vergessen habe.

Man sagt einander sowas zu selten... das ist mir in diesem Moment klar geworden. Denn andernfalls wären diese (doch recht unbedeutenden) Worte wohl nicht hängen geblieben.

Be the change you want to see - sei die Veränderung, die Du sehen möchtest, sagt man wohl. Ich versuche es... Man hat ja dabei auch nicht wirklich etwas zu verlieren.


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Sometimes it is the simple things
That help us through the day
A word of kindness - one that clings
Can come a lengthy way

Today it's me, tomorrow you
That is the one in need
A word of kindness - maybe two
Can often do the deed

So don't just store what should be shared
Like books upon a shelf
And show the world that someone cares

Become the change yourself


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Und sonst so?

Ich bin dazu übergegangen, meine Beiträge in mehreren "Sitzungen" zu schreiben und nicht mehr am Stück, so wie früher. Keine Ahnung, ich hoffe(!) dass ich es dadurch schaffe, nur zu veröffentlichen, was es auch wirklich wert ist, "gesagt" zu werden... Ob mir das gelingt, liegt wohl in Eurem Ermessen.

Nachdem ich so viele Jahre doch sehr wenig in dieser Richtung getan habe, ist kreativ zu sein wieder zu einer Art Sucht für mich geworden. Musik machen, schreiben und seit kurzem auch wieder Photoshop. Es hilft mir, den Kopf frei zu bekommen und mich nicht "nutzlos" zu fühlen. (Was haltet Ihr eigentlich vom neuen Banner?)

Jetzt, wo ich diesen Abschnitt schreibe, ist grad Sonntag und es regnet. In der vergangenen Woche hatte ich Urlaub, was gewissermaßen eine Besonderheit war, weil es der erste längere Urlaub war, seit ich hier in Wildau wohne. Ich hatte so meine Bedenken, wegen der vielen Zeit, die ich mit mir allein verbringen würde... Wer meinen letzten Beitrag gelesen hat, kann sich vermutlich denken, warum.

Letztendlich war es ganz in Ordnung. Zu unspektakulär zwar, um hier jetzt tolle Geschichten erzählen zu können, aber ich habe mich mit ziemlich vielen Leuten getroffen & die Zeit allgemein ganz ordentlich genutzt... Naja, zumindest solange man davon absieht, dass ich durchgängig zu viel getrunken habe. Sei es drum. Es gibt schlimmeres.

Nach normalen Standards ist diese Revision der vergangenen Woche wohl ziemlich lachhaft, aber ich verbuche es als kleinen Sieg. Ein weiterer Schritt Richtung Normalität.

Manchmal sind es die kleinen Dinge.

In jedem Fall hilft es mir, die Situation zu akzeptieren, wie sie jetzt ist. Ein Freund meinte gestern Abend zu mir "Es ist doch heutzutage nichts besonderes mehr, in unserem Alter nochmal 'bei Null' anzufangen." Ich denke, er hat Recht.

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[Aber ich mache mir nichts vor. Am Ende ist jeder Schritt nach vorne zwar wichtig... Dennoch bleibt er nur das - ein Schritt. Ein Schritt ins Ungewisse, bei dem es sich oft so anfühlt, als hinge es allein vom Glück ab, ob er uns auch wirklich nach vorne bringt. Ob er uns voran bringt, auf unserem Weg & in diesem Leben, in dem die Würfel ständig auf's Neue rollen.]

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Soviel für den Moment. Allen, die sich in DE aufhalten, wünsche ich schonmal einen schönen, kommenden Feiertag... Allen anderen dann einen angenehmen Donnerstag.^^

Also dann: Macht's gut, liebe Freunde. Schön, dass Ihr da wart...

...und vielleicht bis bald.


Micha



Freitag, 13. September 2019

Die andere Seite der Medaille




 "Heute sind unser aller Probleme irgendwie existenzieller. Irgendwie greifbarer. Heute hängt wirklich Schicksal daran."

Das sind Worte aus meinem letzten Post... Ich befürchte, ich muss mich ihrer nochmal annehmen, denn sie sind irgendwie irreführend.

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Hallo zusammen. Und einen guten Start ins Wochenende!

Es stimmt zwar, dass die Schwierigkeiten, denen wir uns in dieser Phase unseres Lebens stellen müssen, im Großen & Ganzen greifbarer und vielleicht tatsächlich auch existenzieller sind... Aber dennoch sind sie dadurch nicht realer & schon garnicht schicksalhafter, als die Probleme, die viele von uns schon vor 10 Jahren hatten. 

Es ist schon wieder eine Frage von Perspektive und Fokus. In meinem letzten Beitrag lag beides auf den weltlichen, neuen Sorgen und den daraus resultierenden Chancen, die sich für mich ergeben haben. Aber das ist trotzdem nicht das ganze Bild - nicht einmal, wenn man es nur auf mein eigenes Leben bezieht.

So ziemlich alle, mit denen ich in den letzten Monaten geredet habe, haben noch eine andere Art von Problemen. Und viele haben diese schon sehr lange... "Probleme im Innern" möchte man fast sagen.

Depressionen, Angststörungen, enorme Selbstzweifel... Nur ein paar prominente Beispiele für Probleme, die im Allgemeinen nicht einfach vorüberziehen, wie ein Sturm. Probleme, die keine Chancen und Perspektiven bieten. Probleme, die viele nie wieder so ganz loswerden.

Probleme, über die es sich oft nicht so einfach reden lässt, wie über Schicksalsschläge.

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Man hat manchmal das Gefühl, in einer mental völlig kaputten Gesellschaft zu leben. Jeder hat "auf einmal" Depressionen, Borderline, Burn-Out, oder was auch immer... Aber das stimmt so nicht, denn die Gesellschaft ist schon seit Generationen so kaputt. Unsere Generation war nur einfach die erste, in der offen darüber geredet wurde. 

Bevor Borderline vor vielen Jahren in die Medien kam, waren Alkohol & Drogen die einzig "akzeptablen" Probleme der Jugend. Depressionen waren bestenfalls eine "Phase" und Angststörungen schlichtweg ein Zeichen einer unterentwickelten und schwachen Persönlichkeit. So zumindest war der allgemeine Konsens... Offen, oder hinter vorgehaltener Hand. Es war kein Thema für die Medien und wer in seinem nächsten Umfeld keine Erfahrungen damit gemacht hat, wusste nicht, wie weit verbreitet psychische Probleme sind.

Insofern sieht es heute deutlich besser aus, als noch vor 20, oder 30 Jahren. Man kann einem Freund, oder Verwandten nahelegen, dass er sich mit einer bestimmten Problematik vielleicht in Therapie begeben sollte, ohne unterschwellig zu sagen, dass er ein hoffnungsloser Fall für die Klappsmühle ist. Eigentlich so banal, dass es fast schon traurig ist... Was ist denn die Alternative?

"Oh, Dein Gehirn produziert ein bestimmtes Hormon in falschen Mengen, oder reagiert bei bestimmten Reizen über? Na dann wünschen wir Dir viel Spaß dabei, Dir für den Rest Deines Lebens täglich die Hände blutig zu waschen..."

Makaber. Aber noch vor ein oder zwei Generationen traurige Realität. Wer nicht isoliert werden wollte, der hat seine "kleinen Störungen" lieber für sich behalten... Um sich dann das Leben zu nehmen, sich tot zu saufen, oder so verbittert zu werden, dass er seinen Liebsten das Leben zur Hölle macht.

Es ist gut, dass wir heute darüber reden können.

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"Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen. Viele deutlich schwerer, als ich dachte." 

Diese Aussage ist aus meinem vorletzten Beitrag... und im jetzigen Kontext gleich doppelt wahr. Denn eigentlich bezog sie sich eher auf die weltlichen Probleme, mit denen sich viele von Euch rumschlagen müssen. Job, Liebe, Familie, Zukunftsperspektiven... Der ganze Erwachsenenkram. Der ganze Kram, von dem man meist irgendwann sagen kann "man wächst mit seinen Aufgaben".

Aber das ist halt nur die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite ist die emotionale - die ganz persönliche. Mit einigen von Euch habe ich schon vor vielen, vielen Jahren über sowas gesprochen und manches wird mir erst jetzt wieder so richtig bewusst.

Geschichten und Erfahrungen... Von und über Dämonen, die hinter verschlossenen Türen lauern - an Orten, wo einem niemand helfen kann. Wo Worte nur Geräusche sind und lieb-gemeinte Ratschläge eins werden mit dem unerträglichen Krach, dem man sich ausgesetzt fühlt.

Es war als Jugendlicher manchmal befremdlich... Dieser Gedanke, jemandem einfach nicht helfen zu können... Irgendwie ist er es auch heute noch. Man wird selbst in eine Art Hilflosigkeit gerissen, weil sich ein Freund einem anvertraut hat und... man einfach nichts tun kann. Und dieser Freund wusste das vorher. Es geht gegen jede Faser meines lösungsorientierten Selbstbildes.

Erst mit eigener Erfahrung kam dann die Einsicht, dass Zuhören manchmal Hilfe ist. Dass man manchmal einfach nur das Gefühl sucht, dass jemand da ist. Einfach nur da.


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Im Schatten, fern von jedem Licht
Singt einsam es sein Lied
Ein anderes, ein dunkles Ich
Das niemals jemand sieht

Von Nächten voller Traurigkeit
Von Angst und von Verlust
Zurückweisung und Einsamkeit
Verzweiflung, Wut und Frust


Wenn dichter Nebel schwer sich legt
Und alles Licht verschlingt

Dann merke ich, wie es sich regt
Wie es nach außen dringt

Mit Mühe halt ich es versteckt
Und bleibe, wer ich bin


Und hoff' dass keiner je entdeckt


Was lauert... in mir drin


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Frage: Wie viele von Euch fühlen sich des Öfteren, oder gar regelmäßig einsam?

Schätzungen zu folge ist die Antwort darauf: „Etwas mehr, als jeder Zweite in unserem Alter“. Sozialer Stand, sowie das soziale und familiäre Umfeld spielen dabei keinerlei Rolle. Einsamkeit ist ein Notsignal des Körpers, ganz ähnlich wie Hunger. Und ebenfalls ähnlich wie beim Hunger, ist diese Notsignal-Funktion bei vielen Menschen gestört. (Ich spare mir an dieser Stelle die Ausführung, welchen Sinn dieses Notsignal in prähistorischen Zeiten hatte & warum es heutzutage eigentlich keinen Zweck mehr erfüllt…)

Es hat nicht mal zwangsläufig etwas mit dem Alleinsein zu tun. Manchmal befindet man sich im Kreise seiner Freunde, oder seiner Familie und fühlt sich trotzdem… irgendwie nicht zugehörig… irgendwie deplatziert… irgendwie einsam. Das kann die verschiedensten Ursachen haben & oft genug kennt man diese selbst nicht so genau.

So geht es auch mir schon seit einer ganzen Weile häufig.

Es kommt im Allgemeinen ganz plötzlich. Man sitzt zu Hause, schaut einen Film, trinkt dabei ein Bier und ist ganz zufrieden mit sich selbst und dem Hier & Jetzt. Doch dann fühlt man sich auf einmal komisch… Irgendwas fühlt sich falsch an. Alles eigentlich. Und ehe man sich’s versieht ist es 3 Uhr nachts und man grübelt. Auf einmal ist da diese diffuse (aber sehr intensive) Angst, dass alles, was geblieben, oder neu hinzugekommen ist, wieder verloren gehen könnte. Dass die Menschen, die noch (oder wieder) „da“ sind, einen auch bald verlassen werden & weiter ihrer Wege ziehen, ohne einen Blick zurück.

Meist versuche ich dann gar nicht erst, wieder einzuschlafen, sondern koche mir einen Kaffee und gehe anschließend zu unmöglichen Zeiten zur Arbeit (Gleitzeit sei dank ist das bei mir möglich). Die Arbeit lenkt zumindest ein bisschen ab & wenn ich Glück habe, ist das Gefühl bis zum Feierabend wieder abgeklungen.

Und wenn nicht… Naja, dann versuche ich mich anders zu beschäftigen, oder versuche, der Angst vor dem „vergessen werden“ entgegen zu wirken, indem ich virtuell Präsenz zeige. Und so ist jeder Beitrag – egal ob hier, oder auf Instagram & Facebook – irgendwie auch ein bisschen mehr…

Ein bisschen der Frage „Wer ist eigentlich noch da?“

Ein bisschen vom Angebot „Bleibt ein Weilchen & hört zu.“

Und ein bisschen der Bitte „Geht noch nicht.“

Begleitet wird das Ganze immer irgendwie von der Vorahnung, dass den Leuten meine ständige Präsenz vermutlich so langsam auf die Nerven geht und so wundert es mich tatsächlich, dass noch niemand von Euch die Option gezogen hat, mir zu sagen „Bitte hör auf, mir diese Links zu schicken“.  (Das klingt irgendwie, als würde es um einen Haufen Leute gehen, dabei ist die Rede hier aber „nur“ von 9 Menschen…)

Ich weiß nicht…. Vermutlich ist das keine gute Art, um mit all dem umzugehen. Es wird sich wohl zeigen. Ich lerne noch.

Jedenfalls ist das die andere Seite meiner Medaille. Die Schattenseite der positiven Veränderungen und Chancen, die mein neues Leben mit sich gebracht hat. Die Seite, die man nicht so gerne präsentiert. Denn obwohl ich schon das eine oder andere Mal darüber geredet habe, fiel es mir nicht sonderlich leicht, hier jetzt darüber zu schreiben… Aber vielleicht hilft es ja.


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Und wieder sitzen wir zusammen - getrennt durch Jahre und Meilen. Durch Welten und Leben. 

Und dennoch... zusammen.

Jeder von uns: gebrochen, defekt, gezeichnet... und gleichzeitig gehärtet & gewachsen an den Hürden, die er überwunden hat. Den Gräben, den Schluchten, den Sackgassen. Wir haben es bis hierher geschafft. Nichts konnte uns aufhalten. 

Wo Lücken blieben, da komplementierten wir uns. Wo das Ich zu kaputt war, fanden wir Gänze im Wir.

Und doch bleibt es eine Flucht. Eine Flucht vor den Dämonen, die ständig lauern - auf ihre nächste Chance. Wenn wir uns ausruhen, verschnaufen, unsere Siege feiern. Dann sind sie da, so wie schon all die Male zuvor... Und fordern ihren Tribut, ihre Opfer, ihren Zoll.

Was für Wege wir alle schon zurück gelegt haben... So unglaublich viele Schritte. Tausende, Zehntausende, Abermillionen. So viele, dass wir uns an die aller, aller meisten nicht mehr erinnern können. So wie auch an die meisten Hürden und Sehenswürdigkeiten auf unserem Weg. Alles verfliegt und verschwimmt in der Unschärfe der endlosen Bewegung. Vorwärts, aufwärts, abwärts... Auf dem Weg. Auf der Flucht.

Und wir greifen zu und halten uns fest. An all den Momenten, die viel zu schnell vorbei gehen & irgendwann doch vergessen werden. Die besonders hellen & die besonders bunten... Vielleicht können wir wenigstens ein paar von ihnen wirklich halten und sie mitnehmen. Damit sie ein bisschen Wärme spenden auf unserem langen Weg, während sie in Würde und Liebe verblassen.

Von den meisten jedoch müssen wir uns lösen... Müssen sie am Wegesrand zurücklassen - als Tribut, als Opfer, als Zoll für unsere Dämonen. Es tut weh, doch so, wie von ihnen, müssen wir uns auch von Freunden und Gefährten trennen. Von Teilen unseres Glücks. Von Teilen von uns selbst.

Unser Weg ist lang und weit... verworren und verwirrend... traurig, fröhlich und alles dazwischen. Jeder Abschnitt, jede Gabelung und jeder Etappensieg hat seinen Preis. Wir lassen viel zurück, in der Hoffnung, dass es sich am Ende irgendwie lohnt. In der Hoffnung, dass am Ende mehr bleibt, als nur Reue über die vielen Momente, Stimmen & Gesichter, die wir hinter uns lassen mussten - die wir vergessen haben.

Denn auch wenn das letzte Hemd keine Taschen hat: Manches kann uns niemand nehmen. Nicht unsere Dämonen, nicht die Hürden des Lebens und auch nicht die Steine, die wir uns selbst manchmal in den Weg legen... Zumindest hoffen wir das.

Und während das letzte Licht dieses umkämpften Tages verlischt und wir uns ausruhen, von den Strapazen einer weiteren Etappe unseres Weges, schauen wir nach oben. Alle gemeinsam. Sehen das gleiche Abendrot. Getrennt durch Jahre und Meilen - durch Welten und Leben. Jeder für sich: gebrochen, defekt, gezeichnet. Doch gemeinsam... irgendwie ganz.

Und in der Ferne singt eine dicke Frau.

Die Overtüre.

Zum nächsten Akt.


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Heute nur ein Gedicht, dafür mit etwas Pathos zum Abschluss. Der Herbst hält auch hier langsam Einzug, bitte seht es mir nach.

Also dann: Macht's gut, liebe Freunde. Passt auf Euch auf, vergesst mich nicht...


... und vielleicht bis bald.

Micha


 
P.S.: Wir haben es verpasst! Den runden Geburtstag... Denn vor ziemlich genau einem Monat wurde dieser Blog hier 10 Jahre alt. Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass ich ihn gestartet habe, als ich begann, die ersten von Euch aus den Augen zu verlieren. Wo ist bloß all die Zeit geblieben...

In diesem Sinne: Prost, meine Freunde! Auf Euch & uns & all die ganzen Jahre.